Kärnten ist weiter! – Blog-Artikel zur Kärntner Volksabstimmung 1920

Wir begehen dieses Jahr zum 102. Mal den Tag der Kärntner Volksabstimmung. Obwohl oder gerade weil so viel Zeit seit dem 10. Oktober 1920 vergangen ist, haben Inhalt und Thematik dieses für die Landesgeschichte so wichtigen Tages nichts an Aktualität verloren.
Ja, der Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit, für Selbstbestimmung und gegen Unterdrückung ist heute aktueller denn je. Er ist leider aktueller denn je, denn direkt vor unserer gemeinsamen europäischen Haustüre herrscht Krieg und zeigt einmal mehr Unzulänglichkeiten von Politik und Diplomatie auf.
Es war nahezu undenkbar, dass ein unabhängiges europäisches Nachbarland angegriffen und seine Selbstbestimmungsrechte beraubt wird.
Um genau dieses Selbstbestimmungsrecht haben in den Jahren 1918 bis 1920 auch die Kärntnerinnen und Kärntner gekämpft. Der Kärntner Abwehrkampf forderte Tote auf beiden Seiten, allein mehr als 200 Gefallene auf der verteidigenden Kärntner Seite.
Es waren unsere Väter und Mütter, unsere Großeltern, die sich für den Verbleib Kärntens bei der jungen Demokratie Österreich eingesetzt und aufgeopfert haben. Ihnen, unseren Heldinnen und Helden gedenken wir heute. Und heute gedenken wir ihnen uneingeschränkt – es waren Heldinnen und Helden, Kärntner Landsleute, die unabhängig von ihrer Muttersprache für Kärnten, die Selbstbestimmung und die Freiheit Partei ergriffen.
Und: Vergessen wir nicht, dass die überwiegende Mehrheit der Kärntner Sloweninnen und Slowenen am 10. Oktober 1920 für den Verbleib bei Österreich gestimmt haben und damit erst dieses klare Votum und Bekenntnis zu Österreich möglich gemacht haben.
Damals hat Kärnten mit der historischen Volksabstimmung einen historischen Schritt nach vorne getan und schon damals bewiesen: Kärnten ist weiter!
Die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 war eine Sternstunde für Kärnten, für die junge Republik und die Selbstbestimmung!
Sie war deswegen eine Sternstunde, weil sich die Menschen unabhängig von ihrer Mutter- oder Umgangssprache mit großer Mehrheit zu Kärnten, dem Land, der Region in der sie leben, arbeiten und wo sie zu Hause sind, bekannt haben. Sie haben sich damit zu Österreich, zu einer jungen Demokratie, zu einer jungen Republik und gegen eine Monarchie SHS und damit zur Landeseinheit in kultureller und sprachlicher Vielfalt bekannt.
Es war eine friedliche Lösung, ein demokratischer unter internationaler Beobachtung stehender Ausweg. Und auch wenn es danach viel zu viele Jahre immer wieder zu Diskussionen und Auseinandersetzungen gekommen ist, ist dieser Ausgang auch ein Fingerzeig für ein Ende bewaffneter Auseinandersetzungen – auch für den Krieg in der Ukraine.
Es kann nur eine diplomatische Lösung geben. Besser heute als morgen. Und sei es auch noch so schwierig. Ein diplomatisch erreichter Frieden ist alternativlos.
Und ganz deutlich ausgesprochen: Kein die Demokratie und Freiheit liebender, die Geschichte Österreichs und Kärnten achtender Mensch würde einer bedingungslosen Rücknahme der Sanktionen zustimmen. Die Rückkehr an den Verhandlungstisch ist unabdingbare Voraussetzung für Lockerungen.
10.10. – markanter kann eine Zahlenkombination kaum wirken als der alljährliche Termin unseres Landesfeiertags. Aber heuer, 102 Jahre nach der gleichermaßen historischen wie europäischen Volksabstimmung für Kärnten, will ich Ihnen zumindest noch einen weiteren Zehner ins Gedächtnis rufen: Es ist nun schon zehn Jahre her, seit wir endlich zur Ortstafellösung gefunden haben.
Es sind aber auch erst 50 Jahre seit dem unseligen Ortstafelsturm vergangen. Beides sind einschneidende Ereignisse in unserer Landesgeschichte. Sie stehen für Polarisierung und Integration. Aber in umgekehrter Reihenfolge und dadurch gegensätzlich zum internationalen Trend in nahezu allen Demokratien.
Während auch in Österreich insgesamt immer öfter die wachsenden Gräben in der Gesellschaft beklagt werden, haben wir in Kärnten diese mühsam zugeschüttet. Das war ein Jahrzehnte dauernder Prozess. Ein zähes Verhandeln, bei dem auf nahezu jeden Fortschritt ein Rückschritt folgte. Aber wir haben es geschafft. Nicht allein. Sondern gemeinsam.
In Kärnten war es eine gemeinsame Weiterentwicklung der Volksgruppen in eine bessere, harmonische Zukunft. Unterstützt wurde der Prozess von Wien aus, vom Bund, von der Republik Österreich. Mitgetragen durch unseren Nachbarn Slowenien, wie wir ein Staat der Europäischen Union.
Und aus all der dabei und davor gewonnenen Erfahrung behaupte ich: Wir Kärntnerinnen und Kärntner sind Expertinnen und Experten der Integration und der Solidarität. Nicht, weil wir besser wären als die anderen. Sondern weil wir uns die Gemeinsamkeit mühevoll erarbeiten mussten.
Vielleicht später als viele andere. Aber gerade deshalb ist die Wertschätzung für das Miteinander hier auch größer. Für uns sind es Erinnerungen an schmerzhafte Naherfahrungen, wenn andere über das Aufbrechen der Gräben in ihren Gemeinschaften klagen. Wir haben das einerseits mühsam überwunden und sind andererseits immer noch auf dem Weg. Denn das Kitten ist eine brüchige Angelegenheit, es braucht immer wieder neue Überprüfungen – und manchmal auch ein Nachbessern. Auch deshalb feiern wir alljährlich den 10. Oktober: als Beleg für unseren Zusammenhalt.
Und ich bin froh, dass ich nun schon zum zehnten Mal sagen kann: Dieser Beleg ist gelungen. Etwas Schöneres kann mir als Landeshauptmann gar nicht passieren.
Kärnten ist weiter. Es hat lange gebraucht für diese gemeinsame Erkenntnis, dass man gemeinsam weiter kommt, für das Zusammenwachsen der deutsch- und slowenischsprachigen Landsleute. Doch heute sind wir in Vielfalt geeint. Das ist nicht von ungefähr das Motto der EU. Heute sind wir aus vielen Eines. So lautet die Devise der USA. Und – ja, ich weiß: Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika haben gerade große Schwierigkeiten, diese Ansprüche zu erfüllen.
Auch in Österreich drängen die Kräfte aktuell eher aus- statt zueinander. Umso wichtiger aber ist es, dass wir hier in der Gegenrichtung bleiben, dass wir unbeirrbar den Kurs steuern, der uns weitergebracht hat.
Denn Kärnten ist weiter. Eine europäische Region im Herzen Europas. Die europäische Region an der Schnittstelle der europäischen Kulturen. Die europäische Region an der Kreuzung der europäischen Sprachfamilien. Eine europäische Vorzeigeregion, in sich gewachsen, integriert und gestählt durch das gemeinsame Meistern vieler schwerer Krisen.
Zuerst waren es die hausgemachten – von der Hypo bis zu HCB. Wir haben es geschafft, aus diesen Strudeln herauszukommen. Nicht ohne Schrammen, aber letztlich unbeschadet und stärker als zuvor. Nun reißen uns die Krisen von außen mit – von Corona bis zum Krieg in der Ukraine. Und über allem lasten die Teuerung und die Energiekrise. Aber wir werden es schaffen, auch aus diesen Stürmen herauszukommen. Erneut nicht ohne Blessuren, aber letztlich ungebrochen und stärker als zuvor.
Daran glaube ich, dafür arbeite ich und so haben wir es zumindest gehalten, seit ich die Letztverantwortung für unser Land habe. Eine Verantwortung auf der Grundlage „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ und mit dem Motto „Geteilter Fortschritt ist doppelter Fortschritt“.
Genau diesen doppelten Fortschritt haben wir seit zehn Jahren gemacht. Das beweisen alle grundsätzlichen Kenndaten unseres Landes – von der Bevölkerungsprognose, die wir ständig übertreffen bis zur Quote für Forschung und Entwicklung, mit der wir im Österreich-Vergleich enorm vorgeprescht sind.
Kärnten ist weiter. Und sie werden es mir verzeihen, dass mich aufgrund meiner politischen Biographie ein Umstand ganz besonders freut: Mit 226.000 Beschäftigten feiert Kärnten einen neuen Beschäftigenrekord. Die Arbeitslosenquote – sie war über viele Jahre das größte Sorgenkind des Landes – sinkt kontinuierlich in Richtung unter fünf Prozent.
Ich gebe zu, das hatte ich zu Beginn meiner Amtszeit als Landeshauptmann nicht einmal zu hoffen gewagt. Und das entschädigt uns und mich für vieles, was uns die aktuellen Krisen abverlangen.
Ja, Kärnten ist weiter. Und dafür war es wichtig, dass es egal ist, ob jemand Deutsch, Slowenisch, Italienisch oder Englisch spricht. Denn so wie der Fortschritt, so verstehen auch die Krisen nur eine Sprache. Und das ist die Sprache der Solidarität!
Wenn wir uns zusammentun, wenn wir zusammenhalten, wenn wir es gemeinsam anpacken, wenn wir es gemeinschaften, dann werden wir auch diese Krisen bewältigen. Dann werden wir nicht unter der Teuerungslawine verschüttet, nicht von der Energiekostenexplosion zerrissen und vor allem nicht von den Krisengewinnlern auseinanderdividiert.
Wir, die Kärntnerinnen und Kärntner, haben die Teilung überwunden. Wir sind schon weiter. Kärnten ist weiter. Auch daran erinnert uns mit jedem Jahr Abstand mehr unser Landesfeiertag im Gedenken an den 10.10.1920.
102 Jahre sind für wenige von uns ein Menschenalter, doch für unser Land ist kein Ende in Sicht, sondern nur eine endlose Reihe von Neuanfängen. Und jedem dieser Neuanfänge wohnt ein Zauber inne – wie Hermann Hesse in einem unvergleichlich schönen Gedicht beschrieben hat.
Es heißt „Stufen“. Und Kärnten steht auch heute nur auf einer Stufe. In mancher Hinsicht schon auf einer Stufe mit den führenden Regionen dieser Welt.
Doch Stillstand bewirkt Rückschritt. Und in anderen Belangen liegen ohnehin schon sichtbare Stufen vor uns.
Die nächste große ist die Bewältigung der aktuellen Krisen. Ich hoffe, schon nächstes Jahr am 10. Oktober wieder hier zu stehen und sagen zu können: „Wir haben das geschafft. Kärnten ist noch weiter.“ Und wenn nicht nächstes, dann übernächstes oder im Jahr danach. Daran glaube ich – an die Kraft der Kärntnerinnen und Kärntner, gemeinsam die richtigen Wege aus den aktuellen Krisen zu finden.
Unsere Vergangenheit lehrt uns, dass wir es können und wie das zu bewältigen ist. Mit Solidarität. Zusammen. Gemeinsam.
Kärnten ist weiter. Und das muss so bleiben
Peter Kaiser,
Landeshauptmann Kärnten, 10.10.2022